Die Schützen als Stadtsoldaten und Feldaufseher
Anfang des 16. Jahrhunderts ist dem Lande eine lange Friedenszeit beschieden. Vom ehemaligen Landesaufgebot machte man daher keinen Gebrauch mehr. Dadurch kamen die Schützen zur Ruhe, konnten mehr zivile Aufgaben übernehmen und vor allem ihr Brauchtum pflegen. Besonders festlich werden sie ihr Vogelschießen ausgestattet haben, es entwickelte sich zum allgemeinen Volksvergnügen. Im Vordergrund stand schon lange nicht mehr das schlichte Übungsschießen, wenn der jährliche König der Bauern- und Bürgerschützen ermittelt wurde. Wie das bunte Treiben zur damaligen Zeit in der Stadt ablief, versuchte Dr. Friedrich Hackenberg für das Jahr 1525 nachzuempfinden:
"Nun schießen sie draußen in der Zeltstadt schon den siebenten Tag nach dem knorrigen Vogel. Die Hansestadt hat diesmal ein besonders glanzvolles Fest gerüstet, um Kunstfertigkeit und Gastlichkeit zu zeigen. Aus den märkischen Hansestädten sind die Schützen in großem, Aufwand gekommen, selbst Köln hat ein Fähnlein entsandt, und die Weitgereisten ehrt man vor anderen. Das Bürgertum ist allerwärts in Flor, Gewand und Freigebigkeit beweisen es. Seit Monaten ist das Fest mit Fleiß vorbereitet. Die vielen Schneider haben Tag und Nacht über den buntgewürfelten Festkleidern gehockt. Gevatter Goldschmied hat Becher und Klippen (viereckige Medaillen) gehämmert, der Maler das Schießhaus neu ausgemalt und die Schranken mit den Stadtfarben geziert. Auf dem Spielbrink sind Zelte, Schreierbuden und Stände mit den Schilderhäusern der Zieler erstanden. Herbergen sind bereitgestellt. Nun zieht der Pritschmeister im Narrenkleid mit der klappernden Pritsche wieder durch die engen Straßen und fordert die Schützen zur Versammlung. Behäbig, mit breitem, schwerfälligen Gang folgen ihm die Festgeber, die Zieler in den Wappenfarben, die Trommler und Pfeiffer, Ratsherrn und Schützen im Festornat unter ihren Bannern, die feinen jungen Knaben mit Fähnlein und Bolzen. Die Stadt spendet Keut und Zukost. Draußen hält der Pritschmeister, Narr und Würdenträger in einer Person, seine Rede im Stegreifreim und gibt das Zeichen zum erneuten "Rennen" der Abteilungen auf ihren Schießständen. Er lobt den besten Schuß des Tages in lustigen Schwankversen, er höhnt den schlechten Schützen und überreicht ihm die Vexierfahne, er ahndet die Vergehen gegen Vorschrift und Ordnung auf dem "Rabenstein", einem weithin sichtbaren bunten Gerüst. Bürgermeister und Knecht gehorchen seinem Gebot, und Narrenknaben klappern, pfeifen und purzeln in seinem Gefolge. Das Volk drängt sich um die Würfel- und Zinnbuden, um den Glückstopf und den Feuerfresser. Heimlich vertreibt ein Bänkelsänger Bilder und Drucke von jenem kecken Mönch aus Wittenberg, dessen Werk der clevische Herr vor dem Fest noch als "verdammte lutherische Lehre" gebrandmarkt hat. Die Jungen erklettern den Kletterbaum, der Meister schiebt Kegel, der Bursche tanzt im Reigen. Derweil sind die letzten Zirkelschüsse getan, das Horn des Stadttrabanten ruft zur Preisverteilung und Abdankung. Aller Glanz des Festes entfaltet sich im letzten Marsch vom Schießplatz zum Rathaus. Trommler und Pfeifer dröhnen, gewichtig schreiten die Meisterschützen. Knaben in Samt tragen ihnen die Preise voran. Demütig folgen am Schluß des langen Zuges die schlechten Schützen mit der Fahne aus Sackleinwand. Schwer ist die Trennung von Freund und Fest."
1537 sehen wir bei den Bürgern die "trefflichen Schützen" als intakte Gemeinschaft. In diesem Jahr berichtete die Stadt Breckerfeld an den Landesherren. Sie wollte sich nicht an der Pfandlöse (Schuldentilgung) für, das Amt Altena beteiligen. Die Stadtväter beriefen sich auf ihre leere Kasse. Die finanziellen Engpässe hätten auch die Schützen zu spüren bekommen. Offenbar hoffte man auf Verständnis, wenn es um das "liebste Kind" des Herzogs ging. Die trefflichen Schützen konnte man gut vorschieben. In der Urkunde heißt es auszugsweise: "und so wy dan in unser stadt kleyne opkommynge heben, moeten wir groiten moye und unlast wu langer jo meir dairmede annemen und verbuwen under uns dreplich schuytte und schette setten und geven, ther wy so dane bevestynghe tho behoiff deß fursten unß gnädigen lieben herren und oik den vurß kercken thornen wedderump upgericht und in staith brengen kundenn . . ." In der Übersetzung heißt dies etwa: Und da wir in unserer Stadt kleine Einnahmen haben, mußten wir im Laufe der Zeit immer größere Mühe und Last aufwenden, die trefflichen Schützen unter uns engsetzen (verbauen), Schätze setzen (Steuern veranschlagen) und erheben, bis wir dann die Befestigung für den Fürsten, unseren gnädigen lieben Herrn, und auch den oben genannten Kirchturm wieder aufgerichtet (hatten) und in Ordnung bringen konnten.
Auch ohne die Heeresfolge sollten die Schützen in Stadt und Land nicht beschäftigungslos werden. Als Hauptaufgabe mußten sie die Angelegenheiten in der Stadt und der Außenbürgerschaft wahrnehmen. Die Breckerfelder Bürgerschützen wurden zu echten Stadtsoldaten, die Bauernschützen übernahmen die Feldmarkaufsicht als Feldaufseher. Spätestens jetzt werden die Schützen ihre festen Dienstsitze, den Ausgangspunkt für ihre Einsätze, erhalten haben. Neben dem Stadttor wurde der "Schuttestall" eingerichtet. Seine ursprüngliche Bedeutung als Schützenstellplatz und Pfandlokal muß im Laufe der Zeit verlorengegangen sein. Als die Stadt es 1705 verkaufte und mit dem Erlös seine Schulden bezahlen wollte, stieß sie auf den Widerstand der Regierung. Das Grundstück war nämlich staatlich und als solches auf die neue Brandenburgische Obrigkeit in deren fiskalisches Eigentum übergegangen. Es muß daher für die öffentlichen Zwecke der Steuerbeitreibung schon lange vorher einer funktionsfähigen Schützengemeinschaft, wie sie zu Anfang des 16. Jahrhunderts bestand, zur Verfügung gestellt worden sein. Neben dem Schmiedegewerbe war die Feldmark mit den landwirtschaftlichen Nutzflächen die Haupteinnahmequelle der hiesigen Einwohner. Es lag nahe, den Schützen einen Zugriff auf die Feldmark zu ermöglichen, um das Gelände der säumigen Schuldner aus der Stadt- und Landbevölkerung betreten und Beschlagnahmen durchführen zu können. Im Schüttestall wurde gepfändetes Vieh zusammengetrieben und erst nach Ablösung der Steuerforderung wieder freigegeben. Dieses Zwangsverfahren haben offensichtlich auch die Gogreven oder Richter von Breckerfeld im 16. Jahrhundert öfter in Anspruch genommen. Ihre Gerichtsbücher jedenfalls, von denen nur Auszüge gegen Kirchspielfremde erhalten sind, müssen voll davon gewesen sein.
Der Eingriff der Schützen in die Mark kann nur mit einer allgemeinen Markenaufsicht einhergegangen sein. Der Sinn einer Überwachung bestand darin, die Einwohner vor Erntediebstählen und sonstigen Schäden zu bewahren. Es läßt auf genaue Beobachtung der Fluren schließen, wenn Wegeschäden in der Feldmark ermittelt wurden und die Stadt aufgrund dieser Feststellungen 1562 eine Erhöhung der Wegebenutzungsgelder erreichen konnte. Schon 1499 hatte man Unnaer Getreidefahrer für Wegeschäden verantwortlich gemacht. Die Aufgaben der Ordnungshüter wird unter den Schützen geteilt gewesen sein. Die Bauernschützen dürften für die 'Feldmark und die Bürgerschützen für die Stadt zuständig gewesen sein. Die Bürgerschützen sind wohl am besten charakterisiert, wenn sie als damalige Polizei im Stadtdienst angesehen werden. Die Bauernschützen waren die Feldaufseher. Wie die beiden Gemeinden scharf voneinander abgegrenzt waren, so waren auch die Zuständigkeiten der verschiedenen Schützengruppen getrennt vergeben. Ein Übergreifen, in die Feldmark etwa, wäre für die Bürgerschützen nicht statthaft gewesen; es sei denn, darüber hätte man gegenseitiges Einvernehmen erzielt. Und dieses Übereinkommen muß bestanden haben. Die Stadtbewohner hatten vielfach Besitz in der Feldmark, die nur dem Aufsichtsbereich der Bauernschützen unterstanden hätte. Die Bürgerschützen hätten jedesmal wieder nur mit Einwilligung der Bauernschützen in der Feldmark etwas ausrichten können. Bei dieser Sachlage wird eine abschließende Regelung getroffen worden sein, die nachweislich noch im 18. Jahrhundert Bestand hatte. Es wurde nämlich eine gemeinsame Wache gestellt, die jeweils zur Hälfte aus Bürgern und Bauern bestand. Diese Mannschaft arbeitete zusammen und war auch gemeinsam untergebracht. Der Raum lag mit Sicherheit in der Nähe des Schüttestalles, der auch als gemeinsame Einrichtung der Bauern- und Bürgerschützen zu sehen ist. Die Schützen waren - wie auch in anderen Städten - in der Stadtmauer am Stadtor stationiert.
In die Zuständigkeit der Schützen fiel wahrscheinlich schon im 16. Jahrhundert der Bau- und Brandschutz. Zum Beispiel war die alte Breckerfelder Bauordnung nämlich ganz auf die Schützen zugeschnitten. Neubauten, die keinen Sicherheitsabstand zum Nachbarn hielten und von denen daher das Feuer übergreifen konnte, mußten stillgesetzt werden. Von den Bauherren mußte eine Sicherheit hinterlegt oder abgefordert werden. Sie wurde erst zurückgegeben, wenn keine Beanstandungen mehr erhoben wurden. Der Magistrat war für die Beachtung dieser Vorschriften verantwortlich, und diese Bauzwangsmaßnahmen konnten wirkungsvoll nur von respektierten Aufsehern wie den Bürgerschützen umgesetzt werden. Leider ist vom alten Baurecht nur ein Bruchstück überliefert, als 1614 eine Beschwerde des Peter Hameker über Martin Loewen lief. Dabei wird auf die erwähnten Druckmittel, die altem Recht entsprachen, Bezug genommen. Aufgaben einer Bau- und Brandpolizei nahm im Gebiet der Landgemeinde schon in der Mitte des 18. Jahrhunderts der Magistrat wahr. Einem Bauherrn aus Krägeloh wurde das Weiterbauen von der Stadt untersagt und die Einhaltung der Anordnung polizeilich überwacht. Sicherlich war dies kein eigenmächtiger Eingriff in die Rechte der Landgemeinde; es kann nur eine früher getroffene Vereinbarung zugrunde gelegen haben, nach der die Aufsicht auf diesem Sachgebiet durch gemeinsame Organe ausgeübt werden sollte. Und dafür standen im 16. Jahrhundert den Verwaltungen nur die Schützen der Bauern und Bürger als durchschlagkräftige Gruppen zur Verfügung.
Das Aufgabengebiet der Schützen hatte sich also verändert. Von 1541 bis 1609, als der clevische Erbfolgestreit entbrannt war, fehlte dem Land eine starke Führung. Die Schützen standen für eine Landesverteidigung nicht mehr bereit, sie waren an ihren Heimatorten zur Sicherheit der Bevölkerung eingesetzt. Als dann der niederländische Krieg (1568 - 1648) ausbrach, wurde auch Westfalen von den Auseinandersetzungen betroffen. Holländer und Spanier, die miteinander in Streit lagen, durchzogen unser Land. Zunächst im Westen, dann im Norden und schließlich auch bei uns im Süden, traten plündernde Kriegshaufen auf, die Beute und Fourage machten. Die Obrigkeit zahlte den Marodeuren hohe Abzugsprämien, aber immer wieder kehrten sie zurück. Mit der wilden Soldateska hielt auch ein Verfall der Sitten Einkehr. Diebereien, Gaunereien, Markenübergriffe usw. sollten keine Seltenheit mehr bleiben. Überall im Lande bildete sich der Widerstand der Schützen. Auch in Breckerfeld waren die Schützen noch ein gewichtiger Ordnungsfaktor geblieben; nur so konnte den um sich greifenden üblen Zuständen Einhalt geboten werden. Bis etwa 1586 waren an der Führung des Amtes Altena, zu dem auch Breckerfeld gehörte, keine Beanstandungen laut geworden. Wesentlichen Anteil daran hatten in Breckerfeld wohl Kirchenvorstand und die Schützen. In beiden Gruppen war Claeß Bussenschmedt, ein Bürger aus Boßel, vertreten. Denn er war Büchsenmacher, wie sein Name sagt, und mußte beruflich schon enge Verbindungen mit den Schützen haben; er war angesehen genug, wenigstens von 1569 bis 1581 dem Kirchenvorstand anzugehören. Er hatte 1577 ein wichtiges Wort mitzureden, als das kirchliche Gremium den vorgeschlagenen Pastor Friedrich Delbrücker wegen dessen schlechten Leumunds erfolgreich ablehnen konnte. Die Gemeindemitglieder, die sich der neuen lutherischen Lehre angeschlossen hatten, sollten keinen "Lotterbuben" als Vorbild bekommen. Bussenschmedt und seine Schützengenossen können nicht in schlechtem Ruf gestanden haben, wenn einer aus ihrer Mitte sich auf der allgemeinen sittenstrengen Linie bewegte. Die bekannte Abneigung der Neu-Lutheraner gegen übertriebene Festlichkeiten, Saufen und Fressen, konnte sich an den Breckerfelder Schützen nicht entzündet haben. Ein Schützenverbot wegen zu ausgiebiger Festlichkeiten war hier am Ort sicherlich nicht zustandegekommen. Im Gegenteil, hier müssen die Schützen die Mitgaranten für Recht und Ordnung in Stadt oder Land gewesen sein.
Zu Ende des 16. Jahrhunderts scheint der Einfluß der Schützen dagegen stark zurückgegangen zu sein. 1596 lag der "Vorstand und die Beschutzung" des Amtes Altena im Argen. Die Vorwürfe wurden von dem Adeligen Edelkirchen in Breckerfeld erhoben und höheren Orts auch anerkannt. Seit 10 Jahren muß der laufende Verfall der Schützen-Polizeigewalt vor sich gegangen sein. Alle Kotten, die in diesem Zeitraum ungenehmigt in der Feldmark gebaut worden waren, sollten wieder abgerissen werden. Das Beiwohnen in Backhäusern, Huren- und Hexenwerk sollten abgeschafft werden. Das galt genauso für Breckerfeld, wo dann auch wohl die Aufsicht der Stadtsoldaten und Feldaufseher nachgelassen hatte. Vielleicht waren in dieser Zeit schon die spanischen Plünderer am Ort, und die Schützen hatten ihnen keinen rechten Widerstand entgegensetzen können. Als kleine Heimwehr mußten sie den ausgebildeten und kriegsgewohnten Freibeutern unterliegen. 1599 hatten die Breckerfelder jedenfalls den "spanischen Schatz", also einen Kriegstribut, zu entrichten.
Das 16. Jahrhundert muß die Blütezeit der Breckerfelder Schützen gewesen sein, in anderen Städten und Landgemeinden war es genauso. Und doch fallen nur wenige Schlaglichter auf diese Szene. Wie dargestellt, sind es außerstädtische Quellen, die zur Erhellung beitragen können. Der Grund für diese Lage ist einfach. Aus der Zeit vor 1727 gingen alle Unterlagen der hiesigen Magistratsverwaltung verloren; nur eine alte Stadtrechnung von 1449/50 konnte gerettet werden. Auch dem Rezeptor Wellershaus in Breckerfeld, der u. a. für die Landbevölkerung als Verwalter tätig war, verbrannten die Akten der Landgemeinde. Ein großer Stadtbrand hatte alles in Flammen aufgehen lassen. Und doch ist es gerade bezeichnend, wenn die angeführten vereinzelten Fremdbelege die Aktivitäten der Bauern- und Bürgerschützen noch deutlich erkennen lassen.
Die Schützengemeinschaft hatte das 16. Jahrhundert fast ganz überdauert, und nur dem massiven äußeren Druck des Kriegsgeschehens konnte sie nicht mehr standhalten. So wurde die gemeinsame Arbeit der Männer aus Stadt- und Landbevölkerung unterbrochen, die traditionsreichen Gruppen werden vorübergehend auseinandergefallen sein.
Die Neuorganisation der Schützen sollte einer späteren Zeit unter anderen Vorzeichen vorbehalten bleiben.
Quelle: Festschrift zum Jubiläum 1979 von Armin Voß